H. J. Teichler: Internationale Sportpolitik im Dritten Reich

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Titel
Internationale Sportpolitik im Dritten Reich.


Autor(en)
Teichler, Hans Joachim
Erschienen
Baden-Baden 2022: Academia
Anzahl Seiten
546 S.
Preis
€ 114,00
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Nils Exner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Frage nach dem Verhältnis von Sport und Politik stellt sich auf internationaler Ebene nicht erst seit der skandalumwobenen Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar oder den Olympischen (Winter-) Spielen in Russland (2014) und China (2008, 2022). „[I]n jedem politischen System [erleichtert der Sport] die Identifikation nach innen“ und ermöglicht zugleich „die Repräsentation nach außen“, wie es Hans Joachim Teichler in seinem umfassenden Werk zur Internationalen Sportpolitik im Dritten Reich zu Beginn noch etwas allgemein formuliert, um diese politischen Funktionen dann schließlich auf den folgenden etwa 500 Seiten detailliert für die konkrete außenpolitische Konstellation Deutschlands nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nachzuzeichnen. Dabei wird deutlich, dass die Weiterführung der internationalen Sportbeziehungen nach 1933 nicht nur Normalität und Kontinuität demonstrierte, sondern das deutsche Aufrüstungsprogramm – nicht zuletzt durch den Höhepunkt der Olympischen Sommerspiele 1936 – von einer umfangreichen Friedenspropaganda begleitet wurde. Diese wirkte, vergab doch das Internationale Olympische Komitee im Juni 1939 trotz des Novemberterrors gegen Jüdinnen und Juden und der Zerschlagung der Tschechoslowakei die für das im darauffolgenden Jahr geplanten Winterspiele an das deutsche Garmisch-Partenkirchen.

Bereits 1991 erschien, hervorgegangen aus Teichlers Dissertationsschrift, die erste Ausgabe von Internationale Sportpolitik im Dritten Reich. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich Hans Joachim Teichler als bedeutender Sporthistoriker profiliert: neben dem Arbeitersport legte er vor allem einen Fokus auf die politischen und gesellschaftlichen Funktionen des Sports in der DDR, die Erinnerungskultur im Sport in BRD und DDR sowie eben auf die NS-Sportpolitik. Dass Teichler nun, elf Jahre nach seiner Emeritierung, eine überarbeitete und erweiterte Version seiner inzwischen als Standardwerk geltenden Untersuchung vorlegt, ist für die Geschichtswissenschaften und das interessierte Publikum (wenngleich 114 Euro ein stattlicher Neupreis sind) ein Glücksfall. Denn Teichlers überaus quellengesättigte, fast schon enzyklopädische Gesamtdarstellung trifft auf ein in den Jahrzehnten nach der Erstveröffentlichung inzwischen stark gestiegenes Interesse am Sport als historisches Thema. Nach zunächst vor allem sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Perspektiven haben sich die Geschichtswissenschaften dem Themenkomplex Sport mittlerweile auch entlang kultur-, alltags- und politikgeschichtlicher Fragestellungen angenommen.1 Die trotzdem immer noch teilweise zu beobachtende Gleichgültigkeit gegenüber der sporthistorischen Forschung hatte Hans Joachim Teichler und Berno Bahro schon 2017 dazu veranlasst, eine Neuausgabe der Untersuchungen Hajo Bernetts zum Sport und Schulsport im Nationalsozialismus aufzulegen.2 Seitdem bildet der Band einen wichtigen Bezugspunkt in der Forschung – auch über explizit sporthistorische Fragestellungen hinaus. Das ist auch Teichlers Neuauflage zur Internationalen Sportpolitik im Dritten Reich zu wünschen, bietet doch gerade die beeindruckende Breite der Darstellung reichlich Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten – nicht nur für die Sportgeschichte, sondern für die Geschichte des Nationalsozialismus überhaupt. Denn neben einer Vielzahl kleinerer Aufsätze und Zeitungsartikel zu verschiedenen Aspekten des Sports im Nationalsozialismus sowie einigen Buchpublikationen vor allem zum Thema Fußball fehlt es nach wie vor an Monographien etwa zu den einzelnen Sportverbänden oder auch an Biographien zu Sportfunktionär:innen und Sportwissenschaftler:innen.

Gegenüber der 1991 erschienenen Ausgabe hat Hans Joachim Teichler neue Forschungsliteratur etwa zum Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) oder der SS eingearbeitet, aber auch vollständig neue Kapitel hinzugefügt. Dies gilt für die Kapitel zu der politischen Umdeutung des sportlichen Erfolgs (12), der Auseinandersetzung zwischen Reinhard Heydrich und dem NS-Sportfunktionär Hans von Tschammer und Osten (19.3) sowie dem Kampf um dessen Nachfolge (21).

Insgesamt ist die Untersuchung in drei größere Blöcke untergliedert. Der erste Teil (1919–1932) untersucht die Entwicklung der Sportprogrammatik und -praxis der oppositionellen NSDAP in der Weimarer Republik. Dabei arbeitet Teichler heraus, dass sich vor allem im Zuge des von militärischen Einflüssen geprägten Sportprogramms Hitlers zwar eine lokal differenzierte Sportpraxis der SA herausbildete, in der Partei jedoch keine eigenständige Sportorganisation aufgebaut wurde. Vor dem Hintergrund des Charakters des Sports als wichtiger Massenbewegung der 1920er-Jahre erachtete die NSDAP den Sport insbesondere als Erziehungsinstrument, mit dem die Bevölkerung (militärisch) wehrhaft gemacht werden sollte. Teichler weist dahingehend jedoch darauf hin, dass die Förderung des Sports (als Kompensation für die im Versailler Vertrag verbotene Wehrpflicht) mitnichten ein exklusives Anliegen der NSDAP war. Im Gegenteil reichte diese Forderung weit in das bürgerliche politische Lager hinein. Auch schon im Kaiserreich hatten bürgerliche Jugendverbände den Jungdeutschland-Bund aufgebaut, der der jugendlichen Wehrerziehung diente. Über 1933 hinweg zeigen sich dann schließlich auch die Kontinuitäten im Hinblick auf den neu gegründeten Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) – ein Feld, das in organisationsgeschichtlicher und biographischer Perspektive auch nach Teichlers Untersuchung noch einige Forschungsdesiderate aufweist.

Nachdem Teichler im ersten Teil gezeigt hat, dass die NSDAP statt eines eigenen sportpolitischen Programms versuchte, durch eine Collage etablierter Forderungen für Turn- und Sportvereine anschlussfähig zu sein, wendet er sich in Teil II (1933–1939) dem Prozess der Gleichschaltung zu. Die Darstellung beginnt zunächst mit dem im Frühjahr 1933 entbrannten Streit um den Aufbau und die Kandidaten für die Leitung des deutschen Sports. Im Hinblick auf den weiteren Verlauf der nationalsozialistischen Sportpolitik arbeitet Teichler anschaulich heraus, dass sie nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 gar nicht vorrangig auf Nationalisierung ausgerichtet war, sondern stattdessen (propagandistisch) Aspekte wie internationaler Austausch und friedlicher Wettbewerb betont wurden. Nach der Vorgeschichte des ersten Teils zur Weimarer Republik wendet sich der Autor mit dem Verhältnis von Sport und nationalsozialistischer Außenpolitik im zweiten Teil nun dem eigentlichen Thema des Buches zu. Deutlich wird, dass das nationalsozialistische Regime den Sport in einem Ausmaß zur Selbstdarstellung nutzte, wie es in der Weimarer Republik gar nicht möglich gewesen wäre. Anders als angesichts der Ideologie einer deutschen „Volksgemeinschaft“ zu erwarten gewesen wäre, standen dabei weniger Mannschaftssportarten im Zentrum, sondern eher technikaffine Sportarten und vor allem Kampfsport – wohl auch deshalb, weil die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 1936 und der WM 1938 früh ausschied und entsprechender Erfolg schwerer zu planen war. Mit der Fortführung der Sportbeziehungen auf internationaler Ebene konnten die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme nach außen „Normalität“ suggerieren, was anschaulich in den Länderspielen beziehungsweise „-kämpfen“ gegen Frankreich (März 1933) und England – nur einen Monat vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs – Ausdruck fand.

Nicht zuletzt für den Kontext der Olympischen Spiele 1936 arbeitet Teichler detailliert heraus, wie das nationalsozialistische Regime versuchte, einen internationalen Boykott abzuwenden, indem es vermeintliche Zugeständnisse machte. Dass die deutsche Strategie trotz der bereits weit fortgeschrittenen Diskriminierung der Jüdinnen und Juden letztlich von Erfolg gekrönt war, funktionierte nur durch das (bewusste) Wegsehen der internationalen Sportfunktionäre. Ferner zeigt Teichler, dass die für andere Bereiche des NS-Staates bereits gut erforschte Kompetenzkonkurrenz auch die sportpolitische Sphäre prägte und der Sport zum scharf umkämpften Streitobjekt der verschiedenen Untergliederungen von Partei und NS-Apparat avancierte.

Nachdem Teichler zum Ende des zweiten Teils einen Überblick der sportpolitischen Situation vor dem deutschen Überfall auf Polen gegeben hat, wendet er sich in Teil III (1939–1943) schließlich den internationalen Sportbeziehungen Deutschlands während des Zweiten Weltkrieges zu – bis zur Einstellung des internationalen Sportverkehrs auf der Ebene des Länderkampfes angesichts des „totalen Krieges“ nach der deutschen Niederlage in Stalingrad 1943. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen zum einen die Beziehungen zu den „neutralen“ Staaten (Schweden, Schweiz), zum anderen zur Achsenmacht Italien. Deutlich wird dabei, dass insbesondere erstere nur zum Anfang des Krieges Zurückhaltung übten. Anschaulich arbeitet Teichler die Bedeutung beider Beziehungsstränge für den (zweimaligen) Versuch heraus, eine „Europäische Sport-Konferenz“ während des tobenden Krieges abzuhalten. Die geplante Neuordnung des europäischen Sportwesens (unter Vorherrschaft des angenommenen Kriegssiegers Deutschland) scheiterte jedoch auch wegen der zunehmend auftretenden Differenzen in den deutsch-italienischen Beziehungen. Beeindruckend strukturiert gelingt es Teichler dabei, die überaus komplexe Verschränkung von innen-, außen- und militärpolitischen Aspekten des gescheiterten Vorhabens darzustellen.

Eine große Stärke der Untersuchung ist es, die in der Forschung inzwischen etablierte Position, dass Außenpolitik nicht einfach nur entlang von Regierungsentscheidungen vollzogen, sondern durch eine ganze Fülle von verschiedenen Gruppen getragenen Außenbeziehungen ergänzt wird, auf die nationalsozialistische Politik anzuwenden. Dabei wird deutlich, wie wichtig die internationalen Beziehungen für die Legitimation des nationalsozialistischen Regimes waren. Teichler bewegt sich in seiner Betrachtung zum einen auf der Ebene der Diplomatie- und Militärgeschichte, untersucht die Sportaußenpolitik aber auch für darunterliegende Ebenen (etwa das Verbandswesen). Damit verweist er auf die vielen Facetten der internationalen Sportbeziehungen, wobei die Durchdringung weiterer Aspekte der Systemstabilisierung und -weiterentwicklung im Hinblick auf alltagsweltliche Fragen (unter anderem Sport als Zerstreuung, Emotionalisierung) angesichts Teichlers Fokus auf die internationale Sportpolitik weiteren Untersuchungen vorbehalten ist. Aber auch hinsichtlich der dringend benötigten Organisationsgeschichten, etwa zum NSRL (Hajo Bernetts kurze Darstellung erschien bereits 19833), bietet Teichlers Untersuchung einige Anregungen. Während mit Bernd Bahros Studie zum SS-Sport4 2013 eine erste Studie zur Rolle des Sports in den nationalsozialistischen Massenorganisationen erschienen ist, stehen beispielsweise tiefergehende Analysen des Sports der KdF, zum Sport in der Wehrmacht und zur während des Krieges beabsichtigten Auflösung des Vereinssports (zugunsten übergreifender NS-Ortssportgruppen) nach wie vor aus.

Anmerkungen:
1 Vgl. Olaf Stieglitz / Jürgen Martschukat, Sportgeschichte. Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 08.07.2016, https://docupedia.de/zg/Stieglitz_martschukat_sportgeschichte_v2_de_2016 (26.10.2023).
2 Bernd Bahro / Hans Joachim Teichler, Sport und Schulsport in der NS-Diktatur, Paderborn 2017.
3 Hajo Bernett, Der Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur. Die Entstehung des Deutschen (Nationalsozialistischen) Reichsbundes für Leibesübungen, Schorndorf 1983.
4 Bernd Bahro, Der SS-Sport. Organisation, Funktion, Bedeutung, Paderborn 2013.